Montag, 2. August 2010

Reine Wollensstärke

Wollensstärke, das ist so eine Sache. Wenn der Tierarzt kommt, dieses Scheusal, ist es natürlich von Vorteil, wenn er weit weg ist. Oder man zumindest davonlaufen kann. Doch leider finden sie sich jedesmal wieder drin im Pferch, die ganze Schafsherde. Eingesperrt. Und der Tierarzt hat dann keine Mühe, sie zu schikanieren. Indem er sie mit Nadeln sticht, oder ihre Klauen bearbeitet - oder sonstige unangenehme Prozenduren vornimmt.
Was wäre also die Lösung? Nicht in dem Pferch gehen, beispielsweise. Widerstehen. Dazu braucht es aber gewaltige Wollensstärke. Denn wenn Rebecca die Schäferin mit dem köstlichen Kraftfutter kommt und es im Pferch ausstreut, und sich der Duft über die ganze Weide verbreitet - wer wollte da widerstehen?
Einen gibt es: Den seltsamen ungeschorenen Widder, mit seiner unglaublichen Wollensstärke. Der geht einfach nicht rein. Das wäre doch ein Vorbild? Einfach nicht reingehen, wenn Rebecca ihren Köder ausstreut,...
Man taucht in diesem wunderbaren Schafskrimi in eine vollständig kuriose Welt ein - betrachtet die Menschen aus der Schafsperspektive. Und dann wird ermittelt. Sogar mit Hilfe der Ziegen, dieser vollständig vertrottelten stinkenden Tiere, die auch noch stolz auf ihre Verrücktheit sind. Leider werden sie gebraucht, weil sie über ein toll getarntes Loch in ihrem Zaun verfügen und außerdem Französisch verstehen. Diese fürchterliche Sprache in diesem Land, in das sie leider Gottes, aus Irland kommend, geraten sind. Neben ein Schloss, das früher eine Irrenanstalt war. Mit einem Werwolf, einem Garou, der Rehe umbringt und diese zu fürchterlichen Blut-Kunstwerken im Schnee ausbreitet. Ungemütlicher hätte ihr neues Zuhause nicht ausfallen können. Und Rebecca, ihre Schäferin, die sie alle sehr mögen, kapiert leider gar nichts. Weiß nicht in welcher Gefahr sie steckt und lässt sich auch noch mit den völlig falschen Männern ein.

Man gewöhnt sich rasch an diese amüsante Bande von Ermittlern, die meist haarsträubend daneben liegen mit ihrem kriminalistischen Eifer. Doch auch das ist rasend komisch: wenn sie vollständig ohne Gewissensbisse ein Todesopfer verschwinden lassen, weil sie meinen, ihre Schäferin hätte den Mann erschossen. Oder wenn sie einem Lastauto in der Garage eine pädagogische Geschichte erzählen, in der Hoffnung, es würde endlich aufwachen und dann aus Dankbarkeit die ganze Schafsherde fort bringen aus diesem mörderischen Umfeld.

Leonie Swann bezaubert mit ihrem zweiten Schafskrimi. Sie hat das Kunststück geschafft, einen der atemberaubendsten Perspektivenwechsel der Krimiliteratur vorzunehmen und verhilft uns damit zu einem außergewöhnlichen Vergnügen.

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